Blogbeitrag

Sehen, erproben, erleben

Visualisierung Kutschkermarkt

Veränderung braucht Inspiration. Sei es die Straße, die im eigenen Grätzl umgestaltet wird, das Umstellen der eigenen Wohnung oder gar ein neu geplantes Stadtviertel. Dieses Thema begleitet uns in partizipativen Projekten immer wieder.

Veränderung braucht Inspiration

Wer kennt es nicht? Schon länger will man in den eigenen vier Wänden etwas verändern, ist sich aber nicht sicher, wie man es angehen soll. Oder man schmiedet Pläne für eine gesündere Ernährung, nur die Gewohnheit macht einem einen Strich durch die Rechnung. Aber dann bietet sich endlich eine Gelegenheit: die Möbel werden umgestellt, die Essenseinladung bei Freunden gibt den Anstoß selbst öfters gesünder zu kochen – und  nach einigen Wochen versteht man gar nicht mehr, warum man so lange für diese „kleinen“ Veränderungsschritte gebraucht hat.

Nicht viel anders ist es bei Umgestaltungen im Straßenraum, auf Plätzen oder im neu geplanten Stadtviertel. Es braucht Räume für das Erproben bzw. das Erlebbar machen von Veränderungen. Ein Thema, das uns in partizipativen Projekten schon viele Jahre begleitet.

So haben sich in unserer Arbeit visuelle Stützen zur Vermittlungsarbeit etabliert. Ob Illustrationen, Graphic Recordings oder Urban Sketches – Visualisierungen helfen, sich anhand konkreter Bilder eine Vorstellung von zukünftigen Entwicklungen zu machen. Architekt:innen und Stadtplaner:innen wissen das seit Jahrzehnten: Geplante Bauprojekte werden mit Renderings – einer täuschend echten dreidimensionalen Computerdarstellung – in die Zukunft projiziert. Ob diese nach der Umsetzung dann genau so aussehen, wie ihr visuelles Versprechen, kann zu einem frühen Projektzeitpunkt oft (noch) nicht garantiert werden.

Gemeinsames Arbeiten an einem neuen Bild der Zukunft

Beteiligung zu begleiten, bedeutet viel Vermittlungsarbeit zu leisten. Um sich beispielsweise bei der Neugestaltung einer Straße einzubringen, brauchen Bürger:innen – aber auch Unternehmen, Politik und Institutionen vor Ort – gut verständliche Hintergrundinformationen über technisch machbare und wirtschaftlich mögliche Umsetzungen. Denn während Pläne aus Fachabteilungen für geschulte Augen sofort ein Bild vermitteln, sind die unzähligen Striche mit verschiedenfarbigen Markierungen für Laien oft verwirrend.

Bei der Variantenanalyse für die Wienzeile bereiteten wir vier Möglichkeiten auf, wo der neue Radwege entlang der Wienzeile am sinnvollsten laufen könnte. Dazu haben wir Geschäftstreibende aktiv befragt, Bewertungen von Fachabteilungen und Planer:innen eingeholt und eigene Recherchen durchgeführt. In einer grafisch aufbereiteten Broschüre boten die gesammelten Informationen eine wertvolle Orientierung und Grundlage für zahlreiche Gespräche mit Bürger:innen und anderen Stakeholder:innen.

Im Projekt der neuen Argentinierstraße unterstützten die Illustrationen zu einer Fahrradstraße bzw. einem Zwei-Richtungs-Radweg Politik und Anrainer:innen sich in einem mehrstufigen Beteiligungsverfahren auf „Die Flexible“ Lösungsvariante zu einigen – eine Fahrradstraße mit hoher Umsetzungsqualität.

Je nach Projekt braucht es unterschiedliches Vorgehen, um sich die Zukunft anders als bisher vorstellen zu können und an ihr zu arbeiten.

Der Urban Sketch lädt ein

Im Gegensatz zu Renderings bietet der Urban Sketch einige Vorteile. Renderings erwecken oftmals den Eindruck, dass Umgestaltungen in Zukunft genauso wie auf den fotorealistischen Abbildungen der Renderings aussehen werden. In der Realität kommt es aber im Zuge der Planung zu Änderungen, sodass das Endergebnis sich deutlich vom ursprünglichen Gestaltungsentwurf unterscheiden kann. Der Urban Sketch vermittelt gerade in frühen Phasen von Beteiligungsprozessen, dass die Planungen erst begonnen haben und noch nicht abgeschlossen sind. Zudem wirkt der Urban Sketch einladender, noch selbst mitzugestalten.

 

Exkursion in die eigene Stadt

Oft geht es aber auch um konkrete Anstöße oder einen Perspektivwechsel, um den Status Quo umzudenken und auf neue Ideen zu kommen. Im Zuge unserer Arbeit in der Gebietsbetreuung Stadterneuerung haben wir bei einem gemeinsamen Ausflug mit den Marktstandler:innen des Schlingermarkts in Floridsdorf andere Märkte in Wien besucht.

Der Arbeitsalltag der Standler:innen verlangt oft, dass sie den ganzen Tag am Markt beschäftigt sind und wenig Zeit haben, sich anderswo Inspiration zu holen. Nachdem die größte Hürde genommen war – sich im oftmals stressigen Berufsalltag frei zu spielen – waren die Gespräche mit anderen Marktstandler:innen und der gemeinsame Austausch über spannende Fallbeispiele ein wichtiger Impuls, um die eigenen Aktivitäten im Marktalltag weiterzudenken.

Proberäume für neue Nutzungen

Ein weiteres Praxisbeispiel, das Proberäume für neue Nutzungen gut verdeutlicht, sind Aktivitäten in den Wiener Wohnstraßen. Seit den 1980er Jahren gibt es diese in Wiens Straßenbild. Mittlerweile sind es rund 220 Wohnstraßen, die für vielseitige nachbarschaftliche Zwecke genutzt werden könnten.

Man darf auf der gesamten Fläche der Wohnstraße eigene Sitzmöbel und Tische aufstellen, man kann sich zum Kaffeplausch mit den Nachbar:innen verabreden, ein Straßenschach aufbauen und Kinder die Straße für ihre Zwecke nutzen lassen. Autos dürfen nur zum Parken bzw. zum Ein- bzw. Ausladen im Schritttempo in die Wohnstraße fahren. Das Durchfahren der Wohnstraße ist verboten – so ist die Gesetzeslage. In der Praxis sieht es allerdings anders aus. Ein Problem an der geringen Nutzung liegt wohl daran, dass sich die Menschen nicht vorstellen können, wie dieser Raum anders genutzt werden könnte. Was aussieht wie eine Straße für Autos wird genutzt wie ein Straße für Autos. „Für das Funktionieren von Begegnungszonen, Wohnstraßen oder Fahrradstraßen ist die Straßengestaltung ein entscheidender Faktor“, schreibt Christoph Wurmdobler über das Gelingen von Verkehrsberuhigung.

Kreative Interventionen helfen der Vorstellungskraft

Bunte Bemalungen einer Wohnstraße zeigen alternative Nutzungsmöglichkeiten (C) Reinhard Glössl/space and place

Die Wiener Stadt- und Kulturinitiative space and place bemüht sich in vielen ihrer kreativen und stadtaktivistischen Aktionen diese Nutzung der Wohnstraßen vorstellbar zu machen. So haben sie etwa in einer Wohnstraße mit Klebeband den Grundriss einer Wohnung auf den Asphalt „gezeichnet“ und diesen mit Möbeln und sogar mit einer Badewanne im „Badezimmer“ ausgestattet. Ein anderes Beispiel ist die großflächige Bemalung der Wohnstraße mit bunten Blumen, die dreidimensional zu schweben scheinen. So machen sie klar, dass diese Straße anders als normale Straßen funktioniert.

Solche Beteiligungsangebote und Aktionen eröffnen neue (Gedanken-)Räume und vermitteln Bürger:innen, Unternehmer:innen und Politiker:innen was alles möglich ist. Denn erst, was wir uns vorstellen können, hat das Potenzial real zu werden.