Blogbeitrag

Soziale Innovationen in ländlichen Regionen – Gastbeitrag von Christine Newald und Sabine Rehbichler

Soziale Innovation als Mittel gegen Arbeitskräftemangel und Abwanderung im ländlichen Raum. Im Gespräch mit Christine Newald reflektiert Jakob Winkler mit den Projektpartner:innen von arbeit plus und L&R Sozialforschung den Abschluss des Projekts "Kompetenzzentrum SI plus"

Der Beitrag ist ursprünglich in der Oktober-Ausgabe der ÖGZ – des Magazins des Österreichischen Städtebundes erschienenen.

Abwanderung, demografischer Wandel, fehlende Infrastruktur am Land, Aufholbedarf bei Frauenrechten, Vereinsamung von Älteren, Klimawandel. Unsere Gesellschaft ist im Wandel und steht immer wieder vor neuen Herausforderungen. Besonders stark betroffen sind ländliche Regionen. Soziale Innovation ist DAS Zauberwort, mit dem in Zukunft gesellschaftliche Herausforderungen oder soziale Bedürfnisse angegangen werden. 

In Turnau, einer kleinen Gemeinde in der Steiermark, haben sich mehrere Betriebe mit der Gemeinde zusammengeschlossen und bieten unter dem Dach der Volkshilfe eine Tagesmutter an. Die Projektpartner teilen sich die Betreiberkosten, Eltern zahlen sozial gestaffelte Beiträge, können arbeiten gehen und wissen die Kinder in guten Händen. Klingt einfach? – Ist es auch. Das „Turnauer Modell“ ist ein Best Practice Beispiel für Soziale Innovation im ländlichen Raum. „Das die Lösungen oft sehr simpel sind, ist wahrscheinlich ein wesentliches Erfolgsrezept sozialer Innovationen“, so Jakob Winkler, Projektleiter von Dialog Plus, nach einigem Nachdenken im Interview.

Soziale Innovation bedeutet, Ideen, Modelle, Maßnahmen und Prozesse zu entwickeln, die einen Beitrag zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen leisten können. Diese Ideen können neu sein, sie können sich aber einfach auch bewährt haben. Bewährte Modelle können für neue Kontexte angepasst werden, beispielsweise durch abgeänderte Akteurskonstellationen oder Finanzierungsmechanismen.“

Kompetenzdrehscheibe

Um sozial innovative Projekte gezielt zu fördern und weiterzuentwickeln stellt die EU über den ESF Fördergelder zur Verfügung, mit dem in den Mitgliedsländern Kompetenzzentren für soziale Innovation aufgebaut werden. In Österreich wurden L&R Sozialforschung und arbeit plus von der ESF-Verwaltungsbehörde mit dem Aufbau des Kompetenzzentrums beauftragt. Es soll die zentrale Anlaufstelle für alle österreichischen ESF-Stakeholder rund um das Thema soziale Innovation werden: eine Kompetenzdrehscheibe zwischen Verwaltung, Weiterbildungseinrichtungen, Schulen, (sozialen) Unternehmen und Betroffenen.

In einer ersten Projektphase wurden unterschiedliche Aktivitäten gesetzt, um ein gemeinsames Verständnis von sozialer Innovation zu erarbeiten: Ein Kriterienkatalog und ein Wegweiser für die Umsetzung von Projekten im ESF+ sind entstanden, Workshops und Informationstage für Projektträger wurden veranstaltet sowie eine Toolbox für partizipative Beteiligungsverfahren erstellt.

Dialogprozess

Gerade in der Aufbauphase des Kompetenzzentrums war es uns wichtig, an einem gemeinsamen Verständnis zu dem Begriff „Soziale Innovation“ zu arbeiten. Dafür haben wir einen breit angelegten Dialogprozess gestartet, der unter anderem eine Online-Erhebung und Workshops umfasst, um partizipativ einen Kriterienkatalog für sozial innovative Projekte im ESF+ zu erarbeiten. Auch in Zukunft soll ein Schwerpunkt in der Informationsarbeit liegen, aber auch gezielt neue Kooperationen – von denen soziale Innovation maßgeblich lebt – unterstützt werden,“ erklärt Barbara Willsberger von L&R Sozialforschung.

Das Kompetenzzentrum für Soziale Innovation soll die Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung, der Wissenschaft, den Projektträgern, der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft fördern. Durch Wissensaustausch, gegenseitiges Lernen und den Aufbau von Kapazitäten werden Strukturen und ein gemeinsames Lernfeld für soziale Innovation organisiert, das sich zu einem Wissenszentrum für dafür entwickeln soll. Ziel ist es, Best Practice Beispiele zu verbreiten und neue Lösungen für Innovationsfragen zu kreieren. Solche Innovationsfragen können je nach Organisation sehr unterschiedlich sein. Einige Beispiele:

  • Wie kann ich die Mitarbeiter*innen-Zufriedenheit in meinem Unternehmen erhöhen?
  • Wie kann ich Fördergelder für Kooperationsprojekte abholen?
  • Es entstehen gemeinsame Reflexionen über Arbeits- und Lebensräume und was es in Zukunft braucht, um diese im Sinne der Menschen zu gestalten.

Problemlösung

Die Frage: Was braucht es, um ein Problem zu lösen? steht im Vordergrund. Dabei geht es nicht so sehr um das Ergebnis, sondern auch um die Art und Weise, wie die Dinge angegangen werden. Die unterschiedlichen Akteure machen sich gemeinsam auf den Weg und suchen nach Lösungen. Kollaboration, Zusammenarbeit auf Augenhöhe und voneinander lernen sind wichtige Eckpfeiler dafür. Es geht um neuartige Partnerschaften zwischen öffentlichem und privatem Sektor, aber auch um die Einbindung von Betroffenen und der Zivilgesellschaft. Allein dadurch verändert sich schon etwas.“, so Jakob Winkler.

Damit dieser Schritt ins gemeinsame, neue Denken passieren kann, braucht es Räume. Es braucht physische und psychologische Denkräume, spielerische Zugänge oder künstlerische Interventionen. Wir, von Dialog Plus, sehen uns hier gemeinsam mit arbeit plus in der Rolle des neutralen Vermittlers. Unsere Aufgabe ist es, diese Innovationsräume zu schaffen, Projekte zu begleiten und Methoden zu kennen und anzuwenden, damit dieser Beteiligungsaspekt auch wirklich gelebt wird.“

Erfolgreiche Projekte in Stadt und Land

Ergebnisse solcher Innovationsprozesse mit sozialem Charakter sind Projekte wie die „Iron Women“, ein Frauennetzwerk in der Steiermark, das die Sichtbarkeit und Zusammenarbeit von Frauen in der Region der steirischen Eisenstraße fördert, Frauen als Gestalterinnen sichtbar macht, frisch Zugezogenen beim Ankommen unter die Arme greift und insgesamt Mut macht zum weiblichen Mitgestalten in der Region.

Ein weiteres Beispiel ist der Hofladen in Lengau in Oberösterreich, wo eine ehemalige Bank zum barrierefreien Geschäftslokal umgebaut wurde – mit einer Kaffeeecke und einem Hofladen, der auch als Nahversorger dient. Initiiert und betrieben wird der Hofladen als Beschäftigungsprojekt der Lebenshilfe Oberösterreich; gefördert wurde die Idee vor der Gemeinde Lengau, mit Unterstützung von Bund, Land und Europäischer Union (LEADER). Heute, nach fünf Jahren, dient der Hofladen wieder als Treffpunkt für die Dorfbevölkerung und belebt den Ortskern.

Soziale Innovation muss nicht ländlich sein. Auch im städtischen Raum sind sozial innovative Projekte erfolgreich, denn das gemeinsame Arbeiten an sozialen Problemen ist überall gefragt. FairMATCHING ist zum Beispiel ein Unternehmen in Salzburg, das arbeitssuchende Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt begleitet, indem sie die Menschen mit Unternehmen zusammenbringen, die Arbeitskräfte suchen. Das AMS, das Land Salzburg und die Caritas unterstützen bei der Vernetzung und begleiten sowohl die arbeitssuchenden Menschen als auch die Unternehmen im Erkennen von Bedürfnissen und Kompetenzen, bei der Vermittlung und beim Onboarding. 

Arbeitsmarktintegration

Hier kommt der Verein arbeit plus ins Spiel, das Netzwerk der Sozialen Unternehmen in Österreich. Das Netzwerk aus Sozialen Unternehmen mit dem Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt hat Zugang und Kow-How im Bereich der Arbeitsmarktintegration und kennt die Bedürfnisse von Menschen, denen der Arbeitsmarkt im ersten Schritt nicht so einfach zugänglich ist. Da einige große Unternehmen in der Region stark auf Diversität und Nachhaltigkeit setzen, sind diese auch gute Ansprechpartner*innen für die Anliegen sozialer Innovation.

Ziel ist es, in ganz Österreich Strategien und Kooperationen zwischen Verwaltung, Zivilgesellschaft und vom Strukturwandel betroffenen Bürger*innen weiterzuentwickeln und regionale Innovationslabore zu etablieren. In einem möglichst partizipativen Prozess werden Pilotprojekte erarbeitet, die zu nachhaltiger Beschäftigung und Chancengleichheit beitragen“, so Clara Moder, Projektverantwortliche von arbeit plus – Soziale Unternehmen Österreich. „Mit einem zu gründenden Kompetenzzentrum für Soziale Innovation sollte das in Zukunft noch breiter möglich sein.“