Blogbeitrag

Kultur digitaler Beteiligung in Österreich

e-Partizipation und das Gemeinwohl (C) wildpixel/Thinkstock by Getty Images

Welche digitalen Beteiligungsangebote von Verwaltung und Politik bietet Österreich? Was kommt auf sie zu? Ein Beitrag zu e-Partizipation für WerdeDigital.

Anfang 2017 für WerdeDigital einen Beitrag zu einem Dossier zu e-Partizipation zu verfassen, ist aus mehreren Gründen spannend. Im letzten Jahr durften wir in Österreich die starke Polarisierung der politischen Diskurslandschaft während des rund 12 Monate langen Wahlkampfs für die Bundespräsidentschaft miterleben. Auch werden die Wirkungen von Falschmeldungen und Social Bots, genauso wie die Funktion von Echokammern, immer genauer untersucht. Sich mehr mit Personen im Internet zu umgeben, welche die eigene Meinung teilen, scheint ein zu tiefst menschliches Verhalten zu sein, das durch Algorithmen von Sozialen Medien verstärkt wird. In Summe erleben wir durch die digitalen Reichweiten ein viel rascheres Anheizen gesellschaftlicher Stimmungen, als dies beispielsweise vor 10 Jahren bei Gesprächen in einem Wirtshaus der Fall war. Doch was bedeutet das alles für digitale Beteiligungsangebote von Verwaltung und Politik und die Beteiligungskultur in Österreich? Nach einigen Jahren der digitalen Pilotprojekte zeichnet sich in Österreich eine zarte Struktur von verwaltungsseitiger e-Partizipation ab. Was haben diese gemeinsam und was unterscheidet sie?

Im Unterschied zu direktdemokratischen Methoden, die mit geschlossenen Ja/Nein-Fragen tendenziell zur Polarisierung beitragen, und zu repräsentativen Wahlverfahren, versuchen partizipative Verfahren in konsultativen Prozessen Entscheidungen mit höherer Qualität vorzubereiten, den Dialog zwischen BürgerInnen, Politik und Verwaltung zu verbessern und die Demokratie zu stärken.

Die zarte Struktur kommunaler e-Partizipation in Österreich

Digitale Partizipationsangebote, die in Österreich von Verwaltung oder Politik in den letzten 10 Jahren angeboten wurden, können grob in drei Kategorien unterteilt werden:

  1. Bürgerbeteiligung mit laufendem Angebot, wie Schadensmeldungen per Handyapp oder Internet zu erfassen, und Rückmeldungen der Verwaltung zur Umsetzung erhalten, wo beispielsweise Wörgl oder Linz Vorreiter waren. Andere Verwaltungseinrichtungen bedienen sich für ihre Informationsarbeit Sozialer Medien, die manchmal auch als zwei Richtungs-Kommunikationskanal angelegt sind, wie in der Stadt Salzburg. Als laufende e-Partizipationsangebote etablierten sich auch Petitionsplattformen, bei denen BürgerInnen eine Petition in die Ausschüsse beispielsweise in den Nationalrat oder Wiener Gemeinderat zur Gesetzgebung einbringen können.
  2. Als zweiter Bereich haben sich Online-Diskurse etabliert, die einem breiten Thema wie Verkehr, Umwelt, Jugend, Integration oder Zukunft des ländlichen Raums folgen. Diese e-Partizipationsangebote versuchen oftmals ein Leitbild, Strategiepapier oder Programm im öffentlichen digitalen Diskurs zu erarbeiten. Als Beispiele können der Strukturierte Dialog, die Wiener Charta, Meine Idee für die Oststeiermark oder auch die Digitale Agenda angeführt werden.
  3. Im Gegensatz dazu stehen sehr konkrete kommunale Projekte, oftmals aus der Stadtplanung oder Regionalentwicklung. Sie haben den Vorteil, dass sie wegen ihres Bezugs zu Orten, Stadtteilen oder Gebieten eine gute Anknüpfbarkeit an die Umsetzung ermöglichen, sofern sie frühzeitig erfolgen. E-Partizipations-Verfahren aus diesem Bereich sind beispielsweise die Neugestaltung Schwedenplatz oder die Entwicklung des Linzer Hafens.

Und natürlich gibt es zahlreiche weiterer Formate, die in dieser Systematik nicht einordenbar sind, wie laufende e-Partizipationsformate der Agenda 21, die zwischen lokaler Politik und BürgerInnen vermittelt, oder Schülerhaushalte, in denen die Vorschläge und Umsetzungsmöglichkeiten für Verbesserungen online diskutiert und Listen und Wahlzettel darüber ausgedruckt werden und danach die eigentliche Wahl vor der Urne erfolgt.

Wer einen Zahlenvergleich zwischen Deutschland und Österreich anstellt, dem wird der gravierende Unterschied bei Anzahl und Art der e-Partizipationsangebote der Verwaltung auffallen: Treiber für digitale Beteiligungsprojekte in deutschen Kommunen waren und sind die über 400 Bürgerhaushaltsverfahren, fast alle mit einer digitalen Komponente. In Österreich spielen diese noch keine Rolle. Stärker vertreten waren die laufenden Partizipationsangebote, mit ihrer Nähe zu e-Government, wie auch allgemeine Online-Dialoge. Die oben dargestellte dritte Kategorie zu konkreten kommunalen Projekten verzeichnet die wenigsten e-Partizipationsprojekte. Eine Erfassung aller digitalen und vor Ort-Partizipationsprojekte für Österreich gibt es nicht. Für Wien kann man jedoch über die Bürgerbeteiligungs-Zusammenschau bis 2011 auf Wien Gestalten eine deutliche Zunahme von gestarteten Beteiligungsverfahren erkennen. Ab 2012 finden sich dort weniger neue Beteiligungsprojekte.

Qualität schützt vor frustrierten BürgerInnen

Was ist mit den vielen anderen Online „Mach mit“-Angeboten, die von Unternehmen, Organisationen oder Initiativen ins Leben gerufen werden? Hans Hagedorn, Beteiligungspraktiker aus Deutschland, sieht die Inflation von Beteiligungsverfahren mit unklarer Abgrenzung zwischen Akzeptanzbeschaffung und Dialog als massives Problem und möchte mit einem „Design Award“ Qualität sicherstellen. Für BürgerInnen, die an ihrer Gemeinde, Stadt oder ihrem Land mitgestalten wollen, ist die direkte Anbindung an laufende politische-administrative Planungs- und Entscheidungsvorbereitungen wichtig. Zusätzlich haben sich als Qualitätsmerkmale für Partizipation die Frühzeitigkeit des Verfahrens, ein klarer Gestaltungsspielraum, die Vielfalt der Beteiligten, ein professioneller Rahmen und eine nachvollziehbare Rechenschaft etabliert.

Gerade bei den letzten drei Qualitätskriterien kann Online-Bürgerbeteiligung ihre Stärken ausspielen. Die Heterogenität der Teilnehmenden kann optimaler Weise durch die intensive Bearbeitung unterschiedlicher Kommunikationskanäle wie beispielsweise über Soziale Medien hergestellt werden. Die Chance mit Menschen orts- und zeitunabhängig in Kontakt zu treten und so unter anderem dem Ort verbundene Personen anzusprechen, die weggezogen sind, ist sogar nur online möglich. Klarerweise geht ohne crossmedialer Öffentlichkeitsarbeit und Motivation zur Teilnahme auch ein E-Partizipationsangebot im Trubel der Medienlandschaft unter.Zu einem professionellen Rahmen , nebst der Verzahnung von vor Ort- und Online-Beteiligung die kompetente Moderation von Online-Plattformen, wie auch begründete Rückmeldungen an die Teilnehmenden. Damit gelingt auch eine diskursive Entwicklung von Argumenten. Das „Recht haben wollen“, wie es in Online-Foren zu beobachten ist, tritt in den Hintergrund.

Zusätzlich ermöglicht das Internet die einfache Zugänglichkeit zu den eingelangten digitalen und vor Ort-Beiträge, wie auch die Begründungen zu den Entscheidungen. Wenn der Zugang zu diesem „Beteiligungsgedächtnis“ auch nach Verfahrensabschluss erhalten bleibt, unterstützt dies die Transparenz und Glaubwürdigkeit des Verfahrens.

Messen mit dem richtigen Maßstab

In der ersten Euphorie digitaler Partizipations-Pilotprojekte, kam es auch in Österreich zu zahlreichen Verwechslungen. Beteiligungsprozesse wurden so kommuniziert, als würden die BürgerInnen selbst die Entscheidung über ein Projekt treffen. Manche Online-Votings verstärkten diesen Eindruck. Tatsächlich dienen sie für das Erarbeiten von Grundlagen zu politischen Entscheidungen – und das funktioniert unter Berücksichtigung der beschriebenen Qualitätskriterien auch im Internet sehr gut. In Pressemeldungen wird e-Partizipation gerne mit Kennzahlen aus anderen demokratischen Verfahren verglichen. Online-Bürgerbeteiligung hat nicht den Anspruch auf hohe Beteiligungszahlen, sondern auf ein qualitativ hochwertiges Ergebnis und einen besseren Dialog zwischen den Beteiligten. Die Forschung spricht hier von Kennzahlen aus dem E-Governance, die für Vergleiche mit digitalen Beteiligungsangeboten weitaus besser geeignet sind. Im Vordergrund steht dann Information, Wissensaustausch und Zusammenarbeit und weniger die Beteiligung möglichst aller BürgerInnen.

Partizipation als wirkungsvollste Prophylaxe gegen Populismus

Und was bringen nun Beteiligungsprozesse tatsächlich? Flächendeckende Untersuchungsergebnisse sind erst unlängst von der Deutschen Umweltstiftung veröffentlicht worden und können der Grafik (siehe auch Beteiligungsblog) entnommen werden. Im Jahr 2016 gaben 458 PraktikerInnen aus kommunalen Beteiligungsprojekten Auskunft über ihre Erfahrungen.

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96% haben demnach eine positive Erwartung an die weitere Entwicklung von Bürgerbeteiligung. Für die Motivation einen Beteiligungsprozess anzubieten, waren demnach das Bearbeiten von Konflikten, die Förderung von Akzeptanz und Stärkung der Demokratie durch Emanzipation bzw. Legitimation, wie auch die Qualitätsverbesserung zentral.

Gerade in der Verwendung von Partizipation zur Legitimationsbeschaffung sieht der Leiter der Deutschen Umweltstiftung, Jörg Sommer, eine Gefahr. „Partizipation erst dann zu planen, wenn ein Projekt an die Wand gefahren ist, … nimmt ihr ihre natürliche Stärke: die Entwicklung kollektiver kreativer Gestaltungskraft. In der Öffentlichkeit wird Partizipation so stets mit Problemen assoziiert – und nicht mit Perspektiven. Dabei ist Partizipation weit mehr als ein Pflaster für politische Schürfwunden. Partizipation ist die wirkungsvollste Prophylaxe gegen Populismus.“

Praxis in Österreich: Arbeiten am Kulturwandel

Was sagen PraktikerInnen aus Österreich? Ein kurzer Rundruf zeigt folgendes Bild. Rita Trattnigg, Leiterin des Instituts für kulturellen Wandel, zeigt drei Herausforderungen auf, ohne deren Lösung digitale und vor Ort-Bürgerbeteiligung sich nicht entwickeln kann:

  • Erlernen einer Rückmelde-Kultur zwischen Politik, Verwaltung und BürgerInnen
  • Entwicklung eines Erwartungs-Managements
  • Zur Verfügung stellen von Ressourcen für das Durchführen von Beteiligungsprozessen

Sibylla Zech, Professorin für Raumplanung und Beteiligungspraktikerin bei stadtland, unterstreicht die Chance über das Internet rasch Themen sammeln zu können, wie auch der Möglichkeit Stimmungsbilder abzuholen. Robert Lender, Leiter des Kompetenzzentrums Jugend im BMFJ, hebt die Chance von digitalen Beteiligungsprozessen als diskursive Formate hervor – vorausgesetzt Kommunikationsarbeit, Online-Moderation und Technik unterstützen diese Aushandlungsprozesse.

Berater der ÖAR-Regionalberatung, Hermann Gigler, sieht bei manchen Verfahren „Scheinbeteiligung“ im Vordergrund, die zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung führt und damit Vertrauen für viele Jahre verspielt. E-Partizipation ist für Gigler eine zentrale Möglichkeit Menschen einzubinden, die nicht vor Ort sein können. Er empfiehlt mit einfachen digitalen, wie analogen Prozessen zu starten und Ressourcen dafür wie auch für die Umsetzung der Ergebnisse zu planen.

Literatur: