Blogbeitrag

Heißer Import aus Brasilien: Die Wurzeln der Bürger:innen-Haushalte

Bürgerhaushalt Belo Horizonte

In Europa groß im Kommen, ist die Mitbestimmung an der Haushaltsplanung durch BürgerInnen eigentlich ein Import aus Lateinamerika. Eine Suche nach den Wurzeln der Bürgerhaushalte.

In Europa groß im Kommen, ist die Mitbestimmung an der Haushaltsplanung durch Bürger:innen eigentlich ein Import aus Lateinamerika. Eine Suche nach den Wurzeln der Bürger:innenhaushalte.

Seinen Anfang nahm alles in einer südbrasilianischen Großstadt: In Porto Alegre, „der Mutter des Konzepts Bürger:innenhaushalt“, konnten Bürger:innen bereits 1988 anhand des „Orçamento participativo“ beim Haushaltsbudget und den weiteren Finanzierungsplänen mitmischen.

Dieser beteiligungsorientierte Ansatz revolutionierte das traditionelle Modell „Verwaltung plant, Politik entscheidet“, das die Bürger:innen in eine politisch passive Rolle zwängte.

Budgetgestaltung auf brasilianisch: Elemente direkter Demokratie als fixer Bestandteil des Bürger:innenhaushalts

Während Bürger:innenhaushalte in Deutschland und Österreich den Bürger:innen die Möglichkeit geben, Finanzierungsvorschläge einzubringen sowie Transparenz durch Information herstellen sollen, verfügen Bürger:innen in Porto Alegre direkt über manche Entscheidungskompetenzen – ganz im Sinne von direkter Demokratie. Die in offenen Versammlungen der Bürger:innen eingebrachten Vorschläge arbeiten gewählte BezirksvertreterInnen in regionalen Delegiertenforen aus und priorisieren sie. Der „Conselho do Orcamento Participativo (COP)“, also der Rat des Bürger:innenhaushalts, der aus Delegierten der Bezirks- und Themenversammlungen besteht, integriert die Vorschläge in den politischen Haushaltsentwurf. Der in dieser Weise partizipativ weiterentwickelte Entwurf wird abschließend der Legislative vorgelegt und formaljuristisch verabschiedet.  Der Rat (COP) bildet dabei eine ständige Kontrollinstanz und behält die Verwaltungsarbeit im Auge. Brasilianische Besonderheit ist, dass die Vorschläge der Bürger:innen einen für Politik und Verwaltung bindenden Charakter haben und – gegebenenfalls etwas modifiziert – die Umsetzung damit vorgeschrieben ist.

Partizipation im Netz: Beteiligung endet nicht an der Türschwelle

Die brasilianische Stadt Belo Horizonte geht sogar noch einen Schritt weiter und passt das Konzept Bürgerhaushalt dem Zeitalter des Web 2.0 an: 2006 wurde der seit 1993 alle zwei Jahre stattfindende städtische Bürger:innenhaushalt durch eine Online-Version erweitert. Hier können Bürger:innen für ein Projekt aus fünf Vorschlägen der Stadtverwaltung zu stadtweiten Großprojekten votieren. Die Umsetzung des so gewählten Projekts überwachen die gleichen Delegierten gemeinsam mit den Projekten des städtischen Bürger:innenhaushalts. Um zu vermeiden, dass Personen ohne privaten Internetzugang benachteiligt oder gar ausgeschlossen werden, stehen in öffentlichen Einrichtungen 170 Wahlterminals mit Internetzugang zur Verfügung. Das Verfahren ist erfolgversprechend: 2008 bestimmten 124.000 Personen per Klick die Projektvorschläge mit.

Ideen gesucht!

In Brasilien scheint das Konzept Bürger:innenhaushalt also längst institutionalisiert zu sein, aber auch in Europa ist seit einiger Zeit ein Nachdenken über innovative Formen der Bürger:innenbeteiligung zu sehen. So gibt es in Deutschland bis dato 274 Bürger:innenhaushalte, Tendenz steigend. Denn mündige BürgerInnen wollen sich aktiv beteiligen und Verantwortung übernehmen; in diesem Sinne lässt sich ein Bürger:innenhaushalt als wertvolle Grundlage für erfolgversprechende Beteiligungsprojekte sehen.