Blogbeitrag

Große Veränderung im kleinen Garten: Im Wiener Kleingarten hat sich einiges getan.

Zwei benachbarte Häuser mit Gärten, eines mit weißer Fassade und Flachdach, das andere kleiner mit grünem Fensterladen und Satteldach, umgeben von Bäumen und Sträuchern

Vom Wochenendgarten zum ganzjährigen Zuhause: Die Wiener Kleingärten haben sich in den letzten dreißig Jahren zunehmenden gewandelt. Welche Chancen und Herausforderungen das für das soziale Zusammenleben bringt, erfährst du hier, denn unsere Mitarbeiterin Sarah hat sich in ihrer Diplomarbeit mit diesem Thema auseinandergesetzt.

„Eh im Garten, oder?“ ist ein Satz der in meiner Familie häufig fällt, wir haben nämlich das Glück, einen Kleingarten in Wien nutzen zu können. Als Sommerwohnsitz meiner Großeltern dient er allen Familienfeiern der warmen Jahreszeit als Veranstaltungsstätte. Und damit sind wir nicht alleine: an einem sonnigen Wochenende brummt es regelrecht im Kleingarten. Es wird gegartelt, gefeiert, gegrillt oder am Gartenzaun geplaudert. Was dabei oft vergessen wird: welches Privileg so ein Garten eigentlich ist.

Seit über hundert Jahren in Wien

Die ersten Wiener Kleingärten entstanden rund um 1900 aus mehreren Strömungen. Einerseits begann man Lebensmitteln anzubauen. Andererseits wollten sich die Leute zu Gesundheitszwecken im Grünen erholen. Und wieder andere siedelten sich aus Wohnungsnot auf Brachflächen an. Letztere waren die Vorgänger:innen der Wiener Siedlungsbewegung. Nach den Weltkriegen und mehreren Gesetzen lief das Leben im Kleingarten in geordneten Bahnen: die Gärten wurden vorwiegend als Erholungs- und Schaugrün genutzt. Zwischen April und Oktober durfte auch auf den KG-Parzellen gewohnt werden – jedoch auf maximal 40m² und in Leichtbauweise. Diese Regelung war auch darauf zurück zuführen, dass die Flächen der Kleingartenvereine häufig als Reserveflächen für die künftige Stadtentwicklung oder als Zwischennutzungsflächen angedacht. Daher mussten Bauten leicht demontierbar sein.

Starke Veränderung in den 90er Jahren

Mit den neoliberalen Strömungen der 1990er Jahre änderte sich erneut die mögliche Nutzung der Gärten: die Option auf ganzjähriges Wohnen wurde geschaffen. Damit durften die Kleingärtner:innen nun großzügiger verbauen und ihren Lebensmittelpunkt das ganze Jahr in den Kleingarten legen. Parallel dazu wurden viele der Parzellen auch an ihre Pächter:innen verkauft – was weite Flächen, bis dahin Großteiles im Besitz der Stadt Wien waren, in kleine Eigentumsschnipsel zerteilte. Damit änderte sich auch das soziale Gefüge und die Art des Zusammenlebens innerhalb der Kleingartenvereine. In wie weit sich das soziale Zusammenleben verändert hat, war Teil meiner vorletztes Jahr abgeschlossenen Diplomarbeit.

Ganzjähriges Wohnen: Chance und Herausforderung zugleich

Das ganzjährige Wohnen in Kleingärten verändert das soziale Zusammenleben deutlich. Wenn aus dem Wochenend- oder Sommerdomizil der Lebensmittelpunkt wird, entstehen neue Begegnungsräume: Man trifft sich häufiger auf dem Weg zur Müllinsel, beim Blumengießen oder einfach am Gartenzaun. Dieses ständige Vor-Ort-Sein erleichtert nicht nur die Kontaktaufnahme, sondern fördert auch Achtsamkeit im Alltag. Wenn der Briefkasten überquillt oder das Rollo tagelang unten bleibt, merken das Nachbar:innen sofort und bieten in den meisten Hilfe an. Die gegenseitige Unterstützung – besonders für ältere Menschen – funktioniert hier oft schneller und unkomplizierter als in großen Wohnbauten.

Gleichzeitig entstehen neue Herausforderungen: Wer dauerhaft in engem Kontakt lebt, muss auch mit den Eigenheiten der Nachbar:innen klarkommen. Lärm, Gerüche oder unterschiedliche Vorstellungen von Ordnung und Gartengestaltung können zu Konflikten führen. Im Kleingarten ist der Garten eine zentrale Erweiterung des Wohnraums, die Größe der Parzellen sind in der Regel aber überschaubar – der Kontakt ist daher eng. Gerade wenn verschiedene Generationen aufeinandertreffen, braucht es viel Verständnis und eine offene Kommunikation.

Eigentum und soziale Dynamiken

Der erstmalige Erwerb von Eigentum durch Kleingärtner:innen hat in der Regel wenig Einfluss auf das soziale Gefüge gehabt. Meist wissen Nachbar:innen gar nicht, wer Eigentum besitzt und wer pachtet. Spannender wird es, wenn Parzellen weiterverkauft oder vermietet werden. Besonders mit der zweiten Eigentümergeneration kommen zunehmend Menschen neu in die Anlage, ohne Bezug zur bestehenden Gemeinschaft oder ohne Kenntnis der (informellen) Regeln. Dann steigt das Konfliktpotenzial – besonders wenn gleichzeitig soziale Durchmischung verloren geht. Denn bei hohen Verkaufspreisen können sich nur noch Besserverdienende einen Platz im Kleingarten leisten. Die soziale Schere droht, sich auch hier weiter zu öffnen. Der Stopp der Verkaufsoptionen 2021 war daher ein wichtiger Schritt, um soziale Vielfalt zu erhalten und Spekulation zu vermeiden.

Die Rolle der Akteur:innen: Vom Verein bis zur Stadt Wien

Was also braucht es, damit das Zusammenleben in Kleingärten gelingt? Vier zentrale Akteur:innen haben es in der Hand:

  1. Die Kleingärtner:innen selbst: Nachbarschaft lebt vom Mitmachen. Schon kleine Gesten wie Hilfe beim Blumengießen oder ein freundlicher Gruß können große Wirkung entfalten. Kleingärten haben ein großes Potenzial für resiliente soziale Netze, die jedoch mit Verpflichtung und Erwartungshaltung einherkommen. Gute Kommunikation und das Bewusstsein für ihre Vorteile sind hilfreich.
  2. Die Vereinsleitungen: Sie sind das organisatorische und soziale Herz der Anlagen. Durch Feste, Bastelaktionen, Informationsveranstaltungen oder gemeinsame Aufräumtage schaffen sie Begegnungsräume. Auch transparente Kommunikation – z. B. über Schaukästen ist entscheidend, um Missverständnisse zu vermeiden. Sie können durch Bewusstseinsbildung eines sozialen Miteinanders bei ihren Mitgliedern entscheidend dazu beitragen Konflikte zu vermeiden oder zu lösen.
  3. Der Zentralverband der Kleingärtner:innen: Als Dachorganisation kann er Impulse setzen und Schulungen oder Austauschformate für Vereinsleitungen anbieten. Aktuell fehlen solche Formate weitgehend – obwohl das Interesse für gemeinschaftliches Zusammenleben in vielen Vereinen vorhanden ist. Hier hat der Zentralverband viele Möglichkeiten.
  4. Die Stadt Wien: Die Kleingärten sollten auch in der Stadtentwicklung stärker mitgedacht werden. Nach rund 30 Jahren ganzjährigem Wohnen ist es an der Zeit, neue Strategien zu entwickeln. Die Ambivalenz zwischen Wohnraum und Erholungsraum, die sich in den Kleingärten abzeichnet, ist nur durch eine klare Positionierungen, Konzepte und Strategie zu begegnen.

Was die Stadt von Kleingärten lernen kann

Das soziale Zusammenleben in Kleingärten ist kein romantisches Relikt vergangener Zeiten, sondern hochaktuell und dynamisch. In einer wachsenden Stadt, in der viele Menschen anonym nebeneinander leben, bieten Kleingärten die Möglichkeit zu starker Nachbarschaft und einem resilienten sozialen Netz. Sie können Modellräume für ein Miteinander sein, das auch in anderen Projekten der Stadt vorbildhaft sein kann. Damit das gelingt, braucht es Sensibilisierung, gezielte Unterstützung und den Willen der oben genannten Akteuer:innen, diese Potenziale zu erkennen und zu fördern.

Oder, um es mit den Worten einer Interviewpartnerin zu sagen: „Ich wünsche mir, dass die Gemeinschaft noch stabiler wird und wächst. Mit einer Gemeinschaft wird man auch schwierige Zeiten besser überstehen können.“

Hier geht’s zur gesamten Diplomarbeit.